Abstract
Von seinen Wurzeln her ist ärztliches und pflegerisches Ethos ein Ethos der Fürsorge. Fürsorge findet ihren Grund in der Natur des Menschen: in seinem Angewiesensein auf die Zuwendung anderer. Im Hippokratischen Eid finden sich bereits zwei der vier Prinzipien der modernen Prinzipienethik, nämlich beneficence und nonmaleficence, Autonomie hingegen kommt nicht vor. Die Auffassung von Autonomie als Selbstbestimmung des Menschen wurzelt in der Aufklärung. Im Sinne der Philosophie Immanuel Kants macht die Autonomie des Menschen als Willensfreiheit diesen erst zur Person. Kant erblickte in der Autonomie „den Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur”. Nicht zuletzt aus der Erfahrung des Missbrauchs ärztlichen Handelns im Nationalsozialismus und dem daraus erwachsenen Nürnberger Kodex von 1947 bindet die ärztliche Berufsethik jede medizinische Intervention an die Zustimmung des autonomen Patienten nach Aufklärung (informed consent). Im Belmont Report, der 1978 in den USA vor allem zum Schutz von Probanden in der biomedizinischen Forschung entworfen wurde, werden die Prinzipien des Respekts vor Personen, der Fürsorge und der Gerechtigkeit bereits als normative Bezugspunkte herangezogen. Die 1979 von Tom L. Beauchamp und James F. Childress in den Principles of Biomedical Ethics [ 2 ] formulierten vier Prinzipien der Achtung der Autonomie, des Nicht-Schadens, des Wohltuens und der Gerechtigkeit haben in der Folgezeit die Diskussion in der Bio- und Medizinethik wesentlich geprägt. Ursprünglich wurde dem Autonomieprinzip von den Autoren in einer hierarchischen Ordnung der Vorrang zugemessen. Später haben sie eine Gleichrangigkeit der Prinzipien eingeräumt. Die Prinzipienethik von Beauchamp und Childress ist nicht ohne Widerspruch geblieben. Man hat ihr einen mangelhaften Begründungsfundus vorgeworfen und sie im Sinne eines gemäßigten Intuitionismus interpretiert. Eigentlich handle es sich nur um ein „mantra of principles”. Die komplexen und differenzierten Sachverhalte in der biomedizinischen Ethik ließen sich mit einer starren Hierarchie von Prinzipien nicht bewältigen, da sie zu unangemessenen Vereinfachungen führten.