Leitlinien »Gerinnungsselbstmanagement«

Abstract
Die orale Antikoagulation hat im Rahmen der Primär- und Sekundärprophylaxe von Thromboembolien einen festen Stellenwert. In Deutschland werden zur Zeit etwa 500 000 Menschen aufgrund unterschiedlicher Erkrankungen mit Antikoagulanzien therapiert. Dazu gehören Patienten mit mechanischem Herzklappenersatz, Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz, thromboembolischen Ereignissen (Schlaganfall, Lungenembolie bei Phlebothrombose) und Thrombophilien. Die Therapie mit oralen Antikoagulanzien erfordert eine sorgfältige und regelmäßige Überwachung der Blutgerinnung mittels der Thromboplastinzeit, um Komplikationen wie Blutungen und Thromboembolien zu vermeiden. Seit 1986 besteht für Patienten, die mit Antikoagulanzien behandelt werden die Möglichkeit, ihre gerinnungshemmende Therapie selbst zu kontrollieren und gegebenenfalls notwendige Dosiskorrekturen selbstständig vorzunehmen. Zahlreiche, überwiegend bei Patienten nach Kunstklappenersatz durchgeführte Studien zeigen, dass durch das Selbstmanagement im Vergleich zur konventionellen Therapieführung eine erhebliche Verbesserung der Therapie mit signifikanter Reduktion der Komplikationsraten erreicht werden kann [ 1 ] [ 2 ] [ 3 ] [ 12 ] [ 14 ] [ 15 ] [ 20 ] [ 29 ] [ 30 ]. In einer prospektiven, kontrollierten und randomisierten Studie an 325 älteren Patienten (über 65 Jahre) mit unterschiedlichen Indikationen für eine Langzeit-Antikoagulation ließen sich in den ersten 6 Monaten schwere Blutungskomplikationen um 50 % im Vergleich zur Betreuung durch Antikoagulationsambulanzen senken [ 6 ]. Horstkotte [ 18 ] konnte zeigen, dass eine Therapieverbesserung durch häufigere Kontrollen möglich ist. Bei herkömmlicher Kontrolle der INR-Werte alle 2 [ 4 ] Wochen lagen lediglich 60 % (59 %) der Gerinnungswerte im therapeutischen Bereich. Eine Erhöhung der Gerinnungsmesswerte im therapeutischen Bereich bis auf 90 % war durch Kontrolle alle 4 Tage zu erreichen. Die Selbstkontrollgruppe wies eine signifikant geringere Häufigkeit von Blutungskomplikationen (4,5 %/Jahr gegenüber 10,9 %/Jahr) und thromboembolischen Ereignissen (0,9 %/Jahr gegenüber 3,6 %/Jahr) als die konventionell geführte Gruppe auf [ 18 ]. In einer nicht kontrollierten 10-Jahres-Nachbeobachtung an 387 Patienten mit Selbstmanagement lag die Komplikationsrate für mittlere und schwere Blutungskomplikationen bei 1,5 %/Jahr und für thromboembolische Komplikationen bei 0,5 %/Jahr [ 5 ]. Bei der üblichen Therapieüberwachung liegt die Inzidenz - je nach Literatur - bei 5,7 %/Jahr für schwere, bei 8,5 %/Jahr für leichte Blutungskomplikationen und bei 1,5 %/Jahr für thromboembolische Ereignisse [ 7 ] [ 10 ] [ 11 ] [ 13 ] [ 22 ] ([ Tab. 1 ], [ 2 ] ). Tab. 1 Veröffentlichungen zum Patienten-Selbstmanagement (PSM) und zur Patienten-Selbsttestung (PST). RMC = Routine Medical Care. Veröffentlichung Patienten (n) Verteilung der Gerinnungsparameter im therapeutischen Bereich Komplikationsrate (%/Jahr) PS/PSM RMC Blutungen Thromboembolien PST/PSM RMC PST/PSM RMC White 1 989 30 46 93 % 75 % Anderson 1 993 1 60 95 % 68 % Ansell 1 995 2 40 89 % 68 % Beyth 1 997 6 163 6,4 (p = 0,05) 4,1 Harenberg 1 997 14 126 90 % Hasenkam 1 997 15 41 77 % 53 % Bernardo 1 998 5 387 82 % 1,2 0,5 Horstkotte 1 998 18 150 92 % 59 % 4,5 (p = 0,001) 10,9 0,9 (p = 0,001) 16,2 Körfer 1998 20 600 79 % 54 % 6,8 9,6 1,8 4,9 Sawicki 1 999 26 159 57 % 34 % Caliezi 2 000 9 51 76 % Cromheecke 2 000 12 50 55 % 49 % Heidinger 2 000 16 1 375 69 % 1,6 1,1 Watzke 2 000 29 102 84 % 74 % Alle Studien, die sich mit dem Patienten-Selbstmanagement und der -Selbstkontrolle befassen, zeigen, dass sich durch die aktive Einbindung des Patienten und durch die Verwendung eines Gerinnungsmonitors eine gute, stabile Antikoagulation erreichen lässt. Aus den bisherigen Ergebnissen darf man folgern, dass sich die Komplikationsrate für Blutungen und für Thromboembolien um deutlich mehr als die Hälfte reduzieren lässt. Um die tatsächlichen Vorteile des Patienten-Selbstmanagements, mit Verbesserung der Therapie und Reduktion der Komplikationsrate zu belegen, bedarf es weiterer pro-spektiver, randomisierter Langzeitstudien. Zusätzlich ist durch das Patienten-Selbstmanagement ein Einsparpotenzial gegeben. Allerdings liegen die Kosten beim Selbstmanagement zunächst höher als beim Routinemanagement, was in erster Linie durch die Anschaffung des Gerinnungsmonitors und die Schulung des Patienten bedingt ist. Im ersten Jahr werden 600,00 DM für das Selbstmanagement und 300,00 DM für die herkömmliche Therapieüberwachung benötigt. Unter Berücksichtigung der Behandlungskosten zu erwartender thromboembolischer und hämorrhagischer Komplikationen beider Therapieformen ergibt sich aber schließlich ein eindeutiger Kostenvorteil für das Selbstmanagement. Der Kostenvorteil liegt bei 700,00 DM pro Patient und Jahr [ 28 ]. Der tatsächliche Kostenvorteil dürfte allerdings weitaus höher liegen. Kosten, die z. B. durch Langzeitbehinderung, häusliche Krankenpflege, Arbeitsausfallzeiten oder Verlust der Erwerbsfähigkeit verursacht werden, wurden nicht berücksichtigt. Lafata befasste sich mit der Kalkulation der Kosteneffektivität anhand des 5-Jahres-Markov-Modells. Sie verglich die Kosteneffektivität zwischen herkömmlicher Überwachung, Antikoagulationsambulanz und Patienten-Selbstkontrolle. Die Modellergebnisse zeigen, dass über 5 Jahre mit 1,7 weniger thromboembolischen und 2,0 weniger hämorrhagischen Ereignissen pro 100 Patienten zu rechnen ist, wenn Patienten von einer Antikoagulationsambulanz anstelle niedergelassener Ärzte betreut werden. Weitere 4,0 thromboembolische und 0,8 hämorrhagische Ereignisse werden vermieden, wenn die Therapieüberwachung durch...