Das Kopfneigephänomen bei einseitigen und beidseitig symmetrischen Trochlearisparesen

Abstract
Hintergrund: Traditionell wurde das Kopfneigephänomen bei Trochlearisparese (Zunahme der Höhenabweichung bei ipsilateraler Kopfneigung) allein durch das Fehlen der senkenden Kraft des Obliquus superior erklärt. Modellrechnungen haben jedoch gezeigt, dass dieser Mechanismus nur ein relativ geringes Kopfneigephänomen verursachen würde. Zur Erklärung des tatsächlich meist größeren Kopfneigephänomens sind Anpassungsmechanismen vorgeschlagen worden: Um Binokularsehen mit einer möglichst geringen Kopfzwangshaltung zu erreichen, würde der Otolithenreflex verstärkt und damit bei Kopfneigung zur paretischen Seite ein größeres Höhenschielen in Kauf genommen [ 23 ]. Fragestellung: Wenn das Kopfneigephänomen allein auf dem Fehlen der senkenden Wirkung des Obliquus superior beruhte, müsste die Differenz zwischen dem Höhenschielen bei Rechts- und Linksneigung des Kopfes bei beidseitiger Trochlearisparese größer sein als bei einseitiger Parese. Bei einer Anpassung mit dem Zweck einer möglichst geringen Kopfneigung müsste das Kopfneigephänomen jedoch bei beidseitiger Parese nicht größer, sondern eventuell sogar kleiner sein als bei einseitiger, denn bei beidseitiger Trochlearisparese findet sich im mittleren Blickfeld auch ohne Kopfneigung zu einer Schulter nur ein geringes oder kein Höhenschielen. Patienten und Methoden: Retrospektiver Vergleich von 10 Patienten mit beidseitig symmetrischer und 10 Patienten mit einseitiger Trochlearisparese. In allen Fällen handelte es sich um erworbene Paresen, die länger als 1 Jahr bestanden hatten. Ergebnis: Bei den 10 Patienten mit beidseitiger Parese betrug das Kopfneigephänomen (Differenz der Höhenschielwinkel bei Kopfneigung um jeweils 45° nach rechts und links) 0 - 7° (Median 2°), bei den 10 Patienten mit einseitiger Parese 2 - 13° (Median 8°). Der Unterschied war signifikant (p = 0,0117). Schlussfolgerung: Bei älterer beidseitiger Trochlearisparese ist das Kopfneigephänomen kleiner als bei älterer einseitiger Trochlearisparese. Dieser Befund unterstützt die Hypothese, dass das Kopfneigephänomen bei einseitiger Trochlearisparese durch eine Verstärkung des Otolithenreflexes zunimmt. Die Verstärkung des Otolithenreflexes an sich scheint allerdings kein Kompensationsmechanismus zu sein, sondern ein Nebeneffekt der adaptiven Änderung des vertikalen fusionalen Vergenztonus und damit quasi der Preis für die verbesserte vertikale Fusion. Background: The head-tilt phenomenon (difference between the vertical deviations with an ipsilateral and contralateral head-tilt by 45 deg. each) occurring in patients with a superior oblique palsy has traditionally been explained by the lacking contraction of the superior oblique muscle within the synkinetic movement of ocular counterrolling. However, using a computer model, Robinson showed that the superior oblique palsy itself causes only a relatively small head-tilt phenomenon. Adaptive mechanisms amplifying the otolith reflex were suggested to explain the increase of the head-tilt phenomenon in the course of time. In order to reduce the abnormal head posture required for binocular vision, the otolith reflex would be amplified, accepting the greater vertical deviation when the head is tilted to the paretic side [ 23 ]. Question: If the head-tilt phenomenon were solely caused by the lacking contraction of the superior oblique muscle, it should be greater in bilateral than in unilateral superior oblique palsies. If an adaptive mechanism were acting to reduce the abnormal head posture, the head-tilt phenomenon should not be greater, and could even be smaller in bilateral than in unilateral superior oblique palsy, because in bilateral (symmetric) trochlear nerve palsies the vertical deviation at straight gaze is already small or absent without adaptation. Patients and Methods: We have carried out a retrospective comparison of 10 patients with bilateral symmetric superior oblique palsies and 10 patients with unilateral superior oblique palsy. In all cases, the palsy was acquired and had been present for at least 1 year. Results: The patients with bilateral superior oblique palsy had a head-tilt phenomenon ranging from 0 to 7 degrees (median, 2 deg.). The patients with unilateral superior oblique palsy had a head-tilt phenomenon between 2 and 13 degrees (median, 8 deg.). The difference was significant (p = 0.0117). Conclusions: The head-tilt phenomenon is smaller in long-standing bilateral symmetric superior oblique palsies than in long-standing unilateral superior oblique palsy. This finding supports the hypothesis that in unilateral superior oblique palsy, an adaptive mechanism augments the head-tilt phenomenon by an amplification of the otolith reflex. However, we presume that the amplification of the otolith reflex is only a side effect of the adaptive change of the vertical fusional vergence tonus and thus the price of the improved vertical fusion, rather than a compensatory mechanism.