Geistesgestörte Gewalttäter

Abstract
Alle Geistesgestörten, die vom 1. 1. 1955 bis 31. 12. 1964 in der Bundesrepublik eine Gewalttat begangen haben, wurden zu ermitteln versucht. Die erfaßten 533 Täter haben insgesamt 293 Menschen getötet und 362 verletzt. Nach der Häufigkeit führt die Einzeltat; Seriengewalttaten sind außergewöhnlich selten. Verglichen mit der Gesamtheit der Gewalttäter in der strafmündigen Bevölkerung, stellen die Geistesgestörten rund 3% der Täter. Das entspricht etwa der Häufigkeit dieser Erkrankungen in der Erwachsenenbevölkerung. Daraus folgt, daß Geisteskranke und Geistesschwache insgesamt nicht häufiger, aber auch nicht wesentlich seltener zu Gewalttätern werden als Geistesgesunde. Das Gewalttäterrisiko steht bei Schizophrenen an der Spitze. Die Wahrscheinlichkeit ist dennoch niedrig: Von 10 000 an Schizophrenie Ersterkrankten werden etwa 5 später zu Gewalttätern. Für die affektiven Psychosen beträgt dieser Wert, ebenso wie für die Schwachsinnigen, 6 auf 100 000. In der Geschlechts- und Altersverteilung sind sich die geistesgestörten und die geistesgesunden Gewalttäter ähnlich, während sich die geisteskranken Nichttäter einer Vergleichsgruppe und die Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik nach Alters- und Geschlechtsverteilung gleichen. Der Altersmedian bei geistesgestörten Gewalttätern ist jedoch gegenüber jenem der geistesgesunden Gewalttäter um 8 Jahre nach oben verschoben. Da auch die Krankheitsdauer bei mehr als der Hälfte über 5 Jahre liegt – nur 3% geistesgestörte Gewalttäter begehen die Tat in den ersten vier Wochen nach Krankheitsbeginn–, ist anzunehmen, daß die Krankheit entweder das Gewalttatenrisiko um Jahre hinausschiebt oder daß nicht die Geisteskrankheit selbst, sondern sekundäre Prozesse für das Begehen der Gewalttat ausschlaggebend sind. Dem Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus folgt eine Risikoperiode. Rund 37% der bereits einmal psychiatrisch hospitalisierten Täter begehen die Gewalttat im ersten Halbjahr nach der Entlassung. Die Tatmotive geistesgestörter Täter weichen von denen der geistesgesunden erheblich ab, nur bei schwachsinnigen Tätern besteht weitgehend Übereinstimmung mit der Motivrangliste der geistesgesunden Täter. Die Opfer geistesgestörter Täter sind, vor allem bei Kranken mit affektiven Psychosen und Wahnkrankheit, die engsten Beziehungspartner: Ehepartner, Liebespartner oder Kinder. Lediglich die schwachsinnigen Täter bevorzugen entsprechend ihren Tatmotiven Opfer, zu denen sie keine Beziehungen haben. A group of 533 mentally deranged persons who had killed a total of 293 persons and injured 362 between January 1955 and 31st December 1964 in the Federal Republic of Germany was analysed. Single acts of violence were the rule, a series of violent actions the exception. Mentally deranged persons represented about 3% of those who committed acts of violence, an incidence corresponding to that of mental illnesses in the adult population. The risk of a violent act is most frequent among schizophrenics. But the incidence is low since of 10000 schizophrenics in the first bout of the disease about five will later perform acts of violence. For those with affective psychoses and for mentally subnormals the incidence is about six in 100000. Sex and age distribution was similar for mentally deranged and normal persons who had committed murder or other acts of violence, and did not differ from that of the total population of the Federal Republic of Germany. However, the age median of the mentally deranged was about eight years higher than that without mental disease. The duration of illness preceding the act of violence was over five years in more than half the cases, only 3% of mentally deranged persons committing violent acts did so in the first four weeks after the disease became manifest. A risk period follows confinement in a psychiatric institution. About 37% of persons previously hospitalized committed the act of violence in the first six months after discharge. The motive for the violent act committed by mentally deranged persons differs markedly from that of normal persons, except for mentally subnormal persons. Victims are usually the closest personal contacts, especially among those with affective psychoses and delusions: marital or extramarital partners or children. Only mentally subnormals prefer victims to whom they had no relation whatsoever.