Soziale Milieus: Ein relevantes Konzept für ein besseres Verständnis von Stigma und psychiatrischer Unterversorgung?
- 26 May 2020
- journal article
- research article
- Published by Springer Science and Business Media LLC in Der Nervenarzt
- Vol. 91 (9), 785-791
- https://doi.org/10.1007/s00115-020-00927-8
Abstract
Zusammenfassung Hintergrund Die soziokulturellen Zusammenhänge um stigmatisierende Einstellungen und psychiatrische Unterversorgung sind komplex und unzureichend verstanden. Fragestellung Ist das soziale Milieu ein potenziell nützliches Instrument der psychiatrischen Einstellungs- und Versorgungsforschung? Methode Der Beitrag beschreibt individuelle Behandlungsbarrieren um Wissen und Einstellungen mit Kontextualisierung des sozialen Milieubegriffes und gibt eine narrative Literaturübersicht (PubMed, PsycINFO, Google Scholar) zu Assoziationen unterschiedlicher Dimensionen des Milieubegriffes (Soziodemografie, Werte, Wohnort, Ethnie) mit stigmatisierenden Einstellungen und der Inanspruchnahme psychiatrischer Versorgungsangebote. Ergebnisse Soziodemografisch sind ein geringer Bildungsgrad und ein männliches Geschlecht häufig mit psychiatrischer Unterversorgung und stigmatisierenden Einstellungen zu psychischer Krankheit und ihrer Behandlung assoziiert. Einfache soziodemografische Parameter allein scheinen unzureichend, um Stigma und Unterversorgung vorherzusagen. Das Wissen über psychische Erkrankungen und stigmatisierende Einstellungen stellen wichtige individuelle Behandlungsbarrieren dar. Diese soziodemografischen und individuellen Aspekte können in einzelnen sozialen Milieus kulminieren. So könnten sich besondere Zielgruppen und Kommunikationsanforderungen für Interventionen identifizieren lassen. Schlussfolgerung Das Konzept des sozialen Milieus ist eine potenziell wichtige und bislang kaum genutzte Schnittstelle von Soziologie und Medizin. Vor dem Hintergrund zunehmender Polarisierung und sozialer Ungleichheit könnte es helfen, das Stigma psychischer Erkrankungen besser zu verstehen und es scheint in mehrfacher Hinsicht für sekundär- und tertiärpräventive Überlegungen rund um psychiatrische Unterversorgung relevant.Keywords
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