Abstract
Die amerikanische Öffentlichkeit und selbst viele Akademiker scheinen sich der Natur akademischer Freiheit wenig bewusst zu sein. Das populärste Missverständnis ist wahrscheinlich, dass sie sich direkt aus der Garantie der freien Rede des ersten Zusatzes der US-Verfassung ableiten lässt. Aber diese und andere Verschmelzungen der Rede- und der Wissenschaftsfreiheit ignorieren sowohl die historischen als auch die gegenwärtigen Bedingungen im amerikanischen Hochschulwesen, durch die akademische Freiheit aktuell wesentlich komplexer definiert wird.1 Mein Beitrag beschäftigt sich daher mit zwei Punkten: Indem ich einige der wichtigsten gesellschaftlichen, rechtlichen und institutionellen Faktoren untersuche, welche die akademische Freiheit in den USA ermöglichen und welche sie einschränken, werde ich argumentieren, dass sie weit fragiler ist, als ihre robuste Fassade es scheinen lässt. Als intellektueller Historiker, der sich mit politischen Ideen beschäftigt, möchte ich die Hypothese erläutern, dass die Wissenschaftsfreiheit in Amerika von der starken Tradition des klassischen Republikanismus geprägt wurde, welche die bürgerliche Tugend sowie das Allgemeinwohl ins Zentrum der Gesellschaft, verstanden als πόλις (polis), stellt.