Abstract
Gerhard Henschels autofiktionaler Romanzyklus um Martin Schlosser weist neben diversen anderen Texten auch einen Bildungsroman auf; allerdings stellt sich die Frage, inwieweit der Titel auch als Gattungsbezeichnung ernst zu nehmen ist. Die Gründe, die dagegen sprechen, sind zahlreich und gewichtig. Der vorliegende Aufsatz versucht nicht erst, diese Gründe zu entfalten, sondern verfolgt einen anderen Weg: Ausgehend von Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre und einer Gattungsdiskussion und -neubestimmung des Bildungsromans liest er Henschels Text als einen Bildungsroman der Gegenwart und fundiert seine Lektüre im Vergleich mit einem anderen zeitgenössischen Text, der sich zwar auch Bildungsroman nennt, gleichfalls aber am ehesten noch als Genre-Parodie für die Bildungsromanforschung brauchbar scheint: Judith Schalanskys Der Hals der Giraffe. Bildungsroman. Das Ziel ist es, einerseits die Bildungsromanforschung an die Gegenwart heranzuführen, andererseits die Notwendigkeit des Genres für die Reflexion der gesamtdeutschen Gegenwart mit ihren ästhetisch-medial-kulturellen Spezifika aufzuzeigen. Dabei fällt auf: Wie der Bildungsroman Goethes bildet(e) sich die deutsche Gegenwart weder nur integrativ und harmonisch noch nur desintegrativ und disharmonisch.