Zur Einleitung

Abstract
Seit der sogenannten ,Tendenzwende‘ in den 1970er Jahren, die auch mit den Schlagwörtern ,Neue Subjektivität‘ bzw. ,Neue Innerlichkeit‘ belegt wird, kennzeichnet die jüngere deutsche Literatur ein verstärktes Interesse an biographischen und autobiographischen Erzählformen. Texte wie Peter Schneiders Lenz (1973) oder Rolf Dieter Brinkmanns Rom, Blicke (1979) betonen einerseits ihre Verwurzelung in individueller Erfahrung, und zwar durchaus als Reflex auf die als eindimensional empfundene Politisierung der Studentenbewegung. Andererseits lassen sie sich gerade mit ihrer Insistenz auf der individuellen Biographie als neuartige Reaktionen auf die allgemeineren sozialen und kulturellen Veränderungen in den Gesellschaften des Westens lesen. Was Sozialwissenschaftler ,Individualisierung‘ oder auch den ,postmaterialistischen Wertewandel‘ genannt haben, artikuliert sich im Bereich der Literatur in einer Konjunktur von Textformen, die das Ich und seine biographische Identität zum Gegenstand haben und in besonderer Weise exponieren. In diesen größeren gesellschaftspolitisch-historischen Kontext gehören auch die Formen biographischen Erzählens in der jüngeren Gegenwart, die in diesem Themenheft der Zeitschrift für Germanistik näher betrachtet werden sollen.