Abstract
Obwohl das auftraggebende Institut für Sozialforschung in New York den fertigen Ent-wurf ablehnte, lohnt eine Relektüre von Siegfried Kracauers 1937/38 im Pariser Exil verfass-ter Totalitäre Propaganda aus mindestens drei Gründen: (1) Die Arbeit entwickelt einen ei-genständigen Beitrag zum Propagandabegriff, indem sie diesen in ästhetischer Hinsicht analy-siert. Ausgehend von seinen Weimarer Aufsätzen konzentriert sich Kracauer auf die Kons-truktionsformen (Poesis) und sinnliche Wirkung (Aisthesis) der Propaganda, die jeweils auf eine tiefgreifende Verunsicherung und Desorientierung des Subjekts abzielen. Diese Analyse ist darüber hinaus von intertextueller Relevanz. (2) Mit ihrem Augenmerk auf die Ver-schränkung von Ästhetik und Politik korrespondiert Kracauers Propagandaarbeit insbesondere mit dem Kunstwerkaufsatz, den Walter Benjamin etwa zur gleichen Zeit und ebenfalls in Paris ausarbeitet, und dessen Thesen zur Politisierung der Kunst noch im Realismuskonzept von Kracauers scheinbar politikferner Theorie des Films nachklingen. (3) Schließlich weist Kra-cauers zu Lebzeiten unveröffentlichter Text voraus auf unterschiedliche weitere Überlegungen zum Propagandabegriff, zur Figur des Demagogen und zur Kulturindustrie aus dem Umfeld des Instituts für Sozialforschung bis in die Gegenwart.