Abstract
Der Kulturkritiker, Historiker, marxistische Theoretiker und Cricketexperte Cyril Lionel Robert James – geboren am 4. Januar 1901 auf Trinidad – gehört, obwohl in Deutschland bislang kaum rezipiert, zu den einflussreichsten schwarzen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts.1 Eine gewisse Bekanntheit genießt hierzulande allenfalls ,,Black Jacobins“, seine 1938 erschienene Studie über die haitianische Revolution von 1791 bis 1804.2 Sie gilt bis heute nicht nur als Klassiker einer transnationalen und kapitalismuskritischen Geschichtsschreibung, sondern auch als stilbildend für die im britischen Marxismus so einflussreiche Perspektive einer ,,Geschichte von unten“, an die später Historiker wie E. P. Thompson und Eric J. Hobsbawm anknüpften. James’ umfangreiches politisches und essayistisches Werk hat dagegen ebenso wenig Beachtung gefunden wie sein aus revolutionär-marxistischer Überzeugung geführter Kampf gegen den Stalinismus.3 C. L. R. James war als kommunistischer Häretiker und antikolonialer Aktivist in vielerlei Hinsicht ein widerständiger und subversiver ,,organischer Intellektueller“.4 Er zog es stets vor, prekäre Außenseiterpositionen zu beziehen und den Ohnmächtigen eine Stimme zu geben, statt sich mit den Mächtigen zu arrangieren. Seine vielfältige autodidaktische Forschungspraxis übte er meist abseits akademischer Institutionen aus.5 James betrieb ähnlich wie Karl Marx Gesellschaftskritik unter prekären Lebensbedingungen im ungewissen Handgemenge sozialer und politischer Kämpfe. Sein Werk und rastloses Leben stehen im Kontext einer transatlantischen schwarzen Diaspora, die seit der frühen Neuzeit als Antwort auf Kolonialismus und Sklaverei eine Vielzahl subversiver politisch-kultureller Gegenströmungen hervorgebracht hat.6 Paul Gilroy hat diesen Erfahrungsraum, in dem sich ein besonderes, kosmopolitisches Bewusstsein der Moderne herausbildete, in seinem einflussreichen gleichnamigen Buch als ,,schwarzen Atlantik“ bezeichnet. Er spricht wie W. E. B. Du Bois in seiner epochalen Studie ,,The Souls of Black Folk“ von 1903 von einem ,,doppelten Bewusstsein“. Gemeint ist damit, dass sich im ,,schwarzen Atlantik“ durch das schmerzvolle Verschmelzen gegensätzlicher europäischer und außereuropäischer Einflüsse in einem Prozess der Kreolisierung allmählich neue, hybride Subjektivitäten herausbildeten. Das aus disparaten Wurzeln (roots) und auf transnationalen Migrationswegen (routes) entstehende Bewusstsein ist nicht homogen. Es stellt vielmehr einen ,,provokativen und sogar oppositionellen Akt des politischen Ungehorsams“ gegen die Zuschreibung einer eindeutigen ethnischen und nationalen Identität dar, das die rassistische Dichotomie und soziokulturelle Hierarchisierung der kolonialen Welt in Frage stellt.7